Donnerstag, 10. Juli 2014

Die WM und ich

Warum auch immer, ich komme in diesem Jahr nicht so recht in WM-Stimmung. Dabei war ich noch nie ein großer Nationalmannschaftsfan, der im Trikot vorm TV oder auf Fanfesten das letzte bisschen Verstand verliert, wenn Jogis Jungs gegen den Ball treten, doch als Müller das 1:0 gegen Brasilien erzielte, habe ich mich statt zu jubeln gefragt, wie der Torschützenkönig von 2010 derart frei zum Abschluss kommen konnte. Ich freue mich wirklich, dass die deutsche Elf es bis ins Finale geschafft hat, doch ob meiner emotionalen Entfernung vermag ich nicht euphorisiert oder gar stolz darauf zu sein.

Noch weniger vermag ich, der ich durchaus ein Freund des gepflegten Bashings bin, Häme für die Brasilianer zu empfinden. Im Gegenteil. Mir gingen die so öffentlich gezeigten Gefühle der Spieler aber auch der Fans sehr nahe. Man sah wie schwer der Rucksack gefüllt mit dem Trauma von 1950 und den Erwartungen der ganzen Nation für die Selecao gewesen sein musste. Man sah wie übermotiviert sie ins Spiel gegangen sind und wie sie unter dem Druck und dem Blick der ganzen Welt zusammenbrachen.

Man sah aber auch, wie eine gereifte deutsche Elf das annahm, was ihr angeboten wurde und diese Angebote (welt)meisterlich in Tore ummünzte. Darüber hinaus meinte ich sehen zu können, dass die Nationalmannschaft es während und vor allem auch nach dem Siel nie an Respekt für den Gegner hat mangeln lassen. Direkt nach dem Abpfiff sah es sogar fast so aus, als wüsste man nicht ob und wie man jubeln dürfe, ohne die Brasilianer zu brüskieren.
Das, genau wie die geerdeten Äußerungen der Nationalspieler nötigte mir Respekt ab und die gelungene Präsentation meines Heimatlandes machte mich auch ein kleines bisschen stolz.

Sportlich hat das DFB-Team es zu 100% verdient ins Finale einzuziehen und dieses auch gegen Argentinien zu gewinnen, bei deren Sieg im Elfmeterschießen ich dann doch ob des peinlichen Auftritts von Tim Krul gegen Costa Rica etwas Genugtuung verspürte. Die Argentinier, wie auch die Niederlande, versuchen in erster Linie das Spiel des Gegners zu unterbinden. Eine ebenso legitime wie unattraktive Art des Fußballs. Das kommt bei mir HSV verwöhnten Fußballästheten natürlich nicht gut an.

Vor und auch während der WM habe ich kaum ein gutes Haar an Jogi Löw und seinem Funktionsteam rund um die Nationalmannschaft gelassen und nachdem ich schon einmal Abbitte geleistet habe, tue ich das hier gerne noch einmal: Wenn seine Mannschaft alles in allem den besten Fußball der WM spielt und sich darüber hinaus auch noch positiv als Botschafter des Landes präsentiert, kann der Delegationsleiter nicht viel verkehrt gemacht haben.
Auch wenn ich sein Auftreten als Person nach wie vor nicht mag, wünsche und gönne ich Joachim Löw den Sieg am Sonntag und damit die Krönung seines zehnjährigen Wirkens beim DFB.
Und wer weiß, vielleicht verhilft mir diese späte Einsicht auch zu etwas WM-Stimmung.