Mittwoch, 13. November 2013

Jede Menge Tore


Wie will man ein 3:5 in Leverkusen bewerten?
Ich war nach dem Spiel von den ganzen Eindrücken erschlagen und tat mich schwer das Gesehene zu verarbeiten. An eine Analyse war erst gar nicht zu denken. Dass die Aussagekraft von Statistiken uns manchmal in Stich lässt wissen wir nicht erst seit dem Gladbachspiel, in dem der statistisch beste Zweikämpfer sich zwei Fehler leistete, die zu den Gegentoren führten. Auch in Leverkusen gab es diesen Fall bei der Passgenauigkeit, die jeglichen Wert verliert, wenn der eine Fehlpass der gespielt wird das Spiel entscheidet. Im Folgenden will ich versuchen das Gesehene abseits der Statisik zu erklären.

Durch die immer besser werdende taktische Grundordnung aller Profimannschaften und die damit verbundene Perfektionierung der Raumaufteilung wird es immer schwerer sich Torchancen zu erspielen. Nur ganz wenige Teams sind in der Lage tief und kompakt stehende Gegner auseinanderzunehmen, selbst die Bayern, momentan wohl die beste Mannschaft bei Ballbesitz, bekommen von Zeit zu Zeit ernsthafte Probleme mit den Abwehrreihen ihrer Gegner. Um Gegner zu beherrschen und sich Torchancen herauszuspielen bedarf es einer sehr hohen Passgenauigkeit oder schlicht und ergreifend Qualität.

Eine weitere Möglichkeit zu Toren zu kommen sind die Standardsituationen, welche zu verwerten man trainieren kann, die aber bei einer konzentrierten Abwehrleistung auch zu gut zu verteidigen sind. Auch muss man sich erst in den gefährlichen Bereich vorspielen, um Standards in genügender Anzahl zugesprochen zu bekommen. Natürlich reicht es nicht aus, ausschließlich auf den ruhenden Ball zu setzen, er sollte jedoch eine Waffe sein.

Die meisten Tore im modernen Fußball fallen jedoch nach Fehlern der Gegenspieler. So hört man den Trainer der unterlegenen Mannschaft fast immer von individuellen Fehlern reden, die einen besseren Ausgang des Spiels im Weg standen. Es gilt also den Gegner so unter Druck zu setzen, um diesen zu Fehlern zu zwingen, die man dann ausnutzen kann. Auf dieses Prinzip beruht der Erfolg von Borussia Dortmund in den letzten Jahren, die durch einen hohen Laufaufwand die Gegner ständig unter Druck setzen konnten und so Fehler provozierten. Natürlich braucht es dazu noch eine gewissen spielerische Klasse, um diese Fehler dann auszunutzen.

Das klingt doch eigentlich ganz einfach und sollte mit etwas Trainingsaufwand einigermaßen gut zu kopieren sein und tatsächlich erzielt auch der HSV einen Großteil seiner Tore dadurch, dass er die Gegner unter Druck setzt und von deren Fehlern profitiert. Beim 1:2 in Leverkusen machte Rolfes den Fehler, der das umschalten ermöglichte und beim 2:2 setzte Beister seinen Gegner so unter Druck, dass dieser den Ball vor Lasoggas Füße köpfte. Nicht umsonst ist der HSV in Sachen Torausbeute in der Spitzengruppe der Liga.

Doch genau wie die positive Torausbeute kann man die Kehrseite der Medaille in der Tabelle ablesen, die Gegentore. Auch hier sind beim HSV zumeist die individuellen Fehler verantwortlich, die bei genauerer Betrachtung gar nicht so individuell sind. Wird der eigene Aufbauspieler vom Gegner unter Druck gesetzt braucht dieser Hilfe von einem Mitspieler, der sich durch hohen Laufaufwand anbietet, um nicht selbst sofort unter druck zu geraten, wenn er den Ball bekommt. Alternativ kann der Ball zum Torwart zurückgespielt werden, der diesen dann mit einem Befreiungsschlag aus der Gefahrenzone befördert. Will man nicht auf dieses Mittel zurückgreifen, braucht es sichere Anspielstationen und ein Höchstmaß an Konzentration, um den richtigen Passempfänger auszuwählen.

Rückt das eigene Mittelfeld auf um zu pressen, muss auch das so abgestimmt sein, dass keine Lücken entstehen, die der Gegner, sollte er sich aus dem Pressing befreien zu einem schnellen Gegenstoß nutzen kann. Um ein auf Pressing beruhendes Spielsystem zu installieren braucht ein Trainer also neben den ins System passenden Spielern vor allem Zeit, um die so wichtige Balance auf dem Platz zu finden.

Thorsten Fink ist meiner Meinung nach daran gescheitert, dass er ein Spielsystem der Dominanz spielen ließ, das seine Mannschaft schlicht und ergreifend nicht spielen konnte, weil man dafür diese herausragende Qualität im Kader braucht, die in Deutschland nur ein Verein hat. Bert van Marwijk setzt auf ein Pressingsystem, muss dieses aber mit einem Kader umsetzen, der weder von ihm noch für sein System zusammengestellt wurde. In dieser Umstellungszeit lebt der HSV von seiner individuellen Klasse, die es ihm erlaubt Gegner wie Freiburg oder Nürnberg zu besiegen. Sind die Gegner personell gut besetzt und dazu noch in ihrem System eingespielt, ist es nur normal wenn der HSV in dieser Phase an seine Grenzen stößt.

Der Weg den van Marwijk beschreitet ist in meinen Augen aber der richtige, wenn nicht der einzig gangbare und da kommen wir ins Spiel, die wir ihm die notwendige Zeit geben müssen. Daher werde ich versuchen mich in Zurückhaltung zu üben und mir vorschnelle Kritik verkneifen. Zumindest nach dem Spiel, denn sollte ich das während der 90 Minuten machen, würde ich wahrscheinlich platzen.